Inge Heym über das Leben mit einem trotzigen Schriftsteller - Der lange Atem

Interview von
Regine Sylvester, 14.06.2003, BZ

Regine Sylvester: Ein schöner Garten, Frau Heym.

Inge Heym: Ja, aber es ist lange nichts mehr gemacht worden. Ich bin müde seit anderthalb Jahren. Seit Stefans Tod.

Wie lange waren Sie zusammen?

35 Jahre.

Was ist das erste Erinnerungsbild an Ihren Mann?

Mai 1965. Autobahn-Raststätte Bitterfeld. Ich war mit Kollegen der Defa unterwegs nach Weimar zum Schriftstellerkongress. Wir machten eine Pause. An einem Tisch saß ein Herr. Er trug ein Seidentuch, trank Kaffee und las eine englische Zeitung. Ich dachte ein Ausländer. Wir setzten uns dazu. Am Nebentisch saß Neruda mit seiner Frau. Ich redete wie immer, der Herr lächelte, aber meine Kollegen waren irgendwie gehemmt. Als er ging, sagte einer: Ja, weißt du denn nicht, wer das war? Stefan Heym!

Sie kannten ihn nicht?

Nicht persönlich. Ich hatte natürlich "Kreuzfahrer von heute" gelesen, ein Kultbuch für meine Generation. Och, sagte ich, wenn ich das gewusst hätte. Heym war schon damals heftigen Angriffen ausgesetzt. Ich hätte gerne mit ihm geredet. Jeder wusste, dass er einen Roman über den 17. Juni geschrieben hatte, der nicht erscheinen durfte. Wir trafen uns in der Hotelhalle wieder. Er legte mir den Arm um die Schulter - "Da hätten wir ja auch zusammen fahren können." Dann ging er weg. Ich fand ihn ziemlich arrogant und anmaßend. Der wollte keine ernste Unterhaltung, der wollte was Anderes. Ging aber nicht auf. Ich war nicht auf Abenteuer aus.

Wie alt war Stefan Heym damals?


52.

Wie alt waren Sie?


32. Verheiratet. Ich hatte einen kleinen Sohn von sieben Jahren. Allerdings gab es Probleme in meiner Ehe. Ein Jahr später kam die Scheidung.

Weil Sie sich dann doch in Stefan Heym verliebt hatten?

Er war auch verheiratet. Seine Frau Gertrude, eine Amerikanerin, war mit ihm aus den USA in die DDR gekommen. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon sehr krank. Er hat sich um sie gekümmert. Sie war zwölf Jahre älter. Er hätte sie nie verlassen. Und ich war verzweifelt, weil meine Ehe schief gegangen war, die eigentlich ein Leben dauern sollte.

Aber irgendwie muss die Liebesgeschichte angefangen haben.

Langsam. Später. Erst mal nicht. Ich war Dramaturgin und hatte die Idee, einen Film nach Stefan Heyms Märchen zu machen. Er schickte Texte, aber da ging schon nichts mehr - nach dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 galt er als Feind. Danach trafen wir uns manchmal. Er merkte, dass er mir vertrauen konnte. Er besuchte mich zu Hause und war freundlich zu meinem Jungen. Eine heimliche Affäre begann. Später las ich in den Stasiakten, dass schon unsere erste Begegnung dokumentiert wurde. Weil er unter Beobachtung stand, war ich sofort mit drin. Aber das wusste ich damals nicht. Ich hatte auch andere Sorgen.

Weil Ihre eigene Arbeit nach dem 11. Plenum betroffen war?
Im Studio war der Teufel los. Nach dem Plenum wurde die halbe Jahresproduktion verboten. Der Chefdramaturg Klaus Wischnewski, der Regisseur Frank Beyer mussten das Studio verlassen. Andere auch. Was für eine Fehleinschätzung! Unsere führenden Genossen konnten sich nicht vorstellen, dass Künstler unabhängig voneinander dieselben Themen entdeckt hatten. Das lag an der Zeit. Da waren Widersprüche, die vielen auffielen, die sie gestalten wollten. Für einen besseren Sozialismus. Aber die, die die Macht hatten, haben nur an Verschwörung geglaubt. Auch Heym wurde 1965 Gruppenbildung vorgeworfen, mit Robert Havemann und Wolf Biermann. Stefan war in einer ziemlich verzweifelten Situation. Seine Bücher wurden nicht mehr gedruckt. Und die neuen - "Tag X" über den 17. Juni und "Die Architekten" - durften nicht erscheinen. Er verbarg die Enttäuschung hinter einer Maske.

Was für eine Maske?


Abwehrend, kurz angebunden. Bis zur Unhöflichkeit. Dahinter war ein verletzlicher, empfindsamer, wacher, erotischer Mann. Aber auch seine Coolness und Härte waren echt. Diese Eigenschaften hatte er als Emigrant gebraucht. Ich wollte immer wissen, wie Stefan als junger Mann gewesen war. Er sprach wenig über Vergangenes.

Wie kamen Sie näher an ihn heran?

Durch Arbeiten. Liebe und Arbeit haben für mich immer zusammengehört. Er schrieb damals "Lassalle". Er las mir vor. Wir redeten. Er hatte ja niemanden mehr - keinen Verlag, keinen Lektor. Seine kranke Frau, früher die beste Beraterin, konnte ihm nicht mehr helfen. Ich hatte an der Filmhochschule Regie studiert, ich wusste, wie man eine Szene baut und Dialoge schreibt.

Hat er auf Sie gehört?

Vom ersten Augenblick an gab es Kampf und Widerspruch. Er war ein Macho. Frauen waren für ihn wie ein schöner Biedermeierschrank - etwas, das man besitzen möchte. Er wusste, wie man Frauen auflaufen lässt. Ich musste aufpassen, nicht von ihm gefressen zu werden. Aber er musste sich auch gegen mich wehren. Ich hätte ihn sonst, so wie ich nun mal bin, dominiert. Er war zwanzig Jahre älter als Sie.Aber es kam uns vor, als ob wir sehr jung wären. Wir hatten das Gefühl, als wäre ich zwölf und er wäre sechzehn. So fing unsere Beziehung an.

Wie lange haben sie in diesem Haus hier in Berlin-Grünau zusammengelebt?

Stefan ist hier eingezogen, als er 1952 mit seiner Frau aus den USA kam. Die Siedlung war gerade gebaut worden, für Intellektuelle. Der Ministerpräsident Grotewohl stellte sich vor, dass eine schöpferische Atmosphäre entstehen würde, wenn Künstler und Wissenschaftler zusammenwohnen. Aber daraus ist nichts geworden. Da kamen Leute aus der sowjetischen Emigration und Leute aus der Westemigration zurück. Da war eher ein Misstrauen. Später, als Bewohner gestorben waren, zogen irgendwelche Funktionäre hierher. 1969 starb Stefans Frau. Ich bin 1971 eingezogen. Aber ich habe hier nie gerne gewohnt.

Warum nicht?

Weil ich keine Freunde gewonnen habe. Die Nachbarn grüßten kaum. Sie lehnten einen Mann wie Stefan Heym ab. Es gab, außer zu dem verstorbenen Musikprofessor Georg Knepler, keinerlei Beziehungen.

Was ist jetzt mit den Nachbarn?


Einige sind weggezogen, einige sind gestorben, einige wohnen noch hier. Ich habe in den Stasiakten Grundrisse von Häusern gefunden, die Beobachtungsstützpunkte waren. Rund um uns herum. Das bedeutete, dass die Stasi da Zugang hatte für ihre Überwachungsmaßnahmen. Bei uns sind alle Räume abgehört worden. Ich bekam in den siebziger Jahren einen Reisepass und habe mich eigentlich sehr gewundert. Dann habe ich in den Akten den Grund gelesen: Ich sollte weg sein, damit die Stasileute rein konnten. Sie haben Durchsuchungen gemacht. Das hängt auch alles für mich an diesem Haus.

Ahnten Sie, was ein Leben an der Seite der bekanntesten Unperson der DDR bedeuten würde?

Nein. Damals, 1971, war Honecker an die Macht gekommen. Seine Rede, dass es keine Tabus in der Kunst mehr geben solle, gab Hoffnung. Aber für mich war es vor allem etwas Wunderbares, Stefan Heym zu treffen. Einen, der gegen die Nazis gekämpft hatte, der hier auch kämpfte und sich nicht alles gefallen ließ. Vor dessen Lebensleistung du große Achtung hast, auch wenn du siehst, wie um dich herum Männer zusammenklappen. Als wir 1971 geheiratet haben, gab es eine Öffnung in der Kulturpolitik. Von Christa Wolf erschienen Bücher, von Heym kamen "Lassalle", "Die Schmähschrift", "Der König David Bericht". Es sah aus, als könnte man was erreichen. Ich erinnere mich, das war nur wenige Jahre später, an Getuschel bei der Defa.

Sie waren eine geschätzte Dramaturgin.

Doch es hieß: Vorsicht! Sie ist die Frau von Stefan Heym. Sie erzählt ihm alles! Ja. Ich lief bald gegen eine Wand. Meine Autoren waren zum Beispiel Ulrich Plenzdorf, Klaus Schlesinger, Dieter Schubert. "Die neuen Leiden des jungen W." konnten wir bis zum Drehbuch entwickeln, aber es gab keine Produktionsgenehmigung. Nach der Biermann-Ausweisung 1976 bin ich aus der Partei ausgetreten. Entlassen konnten sie mich nicht. Die Studioleitung bot mir einen Vertrag als Drehbuchautorin an. Da hatte ich nicht so viel Einfluss wie als Dramaturgin und arbeitete zu Hause. Ich bekam keine Einladungen mehr zu Gesprächen. Sie vermuteten, alle Informationen gehen über den Tisch von Stefan Heym. Völliger Quatsch. Der hatte gar keine Zeit. Wenn ich ihm was erzählen wollte, sagte er, lass mich damit in Ruhe. Und die dachten, der jiepert danach. Ich stimmte der Vertragsänderung zu und arbeitete nur noch als Drehbuchautorin. Bis 1982.

Dann sind Sie von der Defa weggegangen.

Weil nichts mehr ging. Ich wollte aus den Tagebüchern von Maxie Wander einen Film machen. Auch daraus ist nichts geworden. Da habe ich nur noch meinem Mann geholfen. Recherchen, Korrespondenz, Lesereisen. Hier lief ja alles auf Hochtouren. Besucher, Westjournalisten. Ich hatte keine Langeweile. Ich verlor nur meinen eigenen Boden, meinen eigenen Bereich. Und übernahm dann auch noch die Hausarbeit, als ich spürte, dass mit unseren Haushaltshilfen etwas schief lief. IM Frieda sorgte dafür, dass die Staatssicherheit auch die Fassungen des Buches über den 17. Juni kannte. Sie war sieben Jahre bei uns. Diese Frau kam auf eine Annonce. Damals meldeten sich einige. Erst aus den Akten habe ich erfahren, dass die von der Stasi geschickt worden waren. Frieda als Einzige nicht. Sie ist erst danach unter einer Legende angeworben worden: Die Stasi hatte sich als Volkspolizei ausgegeben. Frieda sollte auf Einbrecher in ihrer Wohngegend achten. Die Stasi-Leute kamen mit Blumen und Konfekt zu ihr. Die waren einfach freundlich. Bis sich Frieda bereit erklärte, auf unsere Besucher zu achten. Wir seien ein konterrevolutionäres Zentrum. Frieda wurde ins Vertrauen gezogen, sie war plötzlich eine wichtige Person. Ich ging damals arbeiten, Stefan brauchte Betreuung, mein Sohn ging zur Schule. Ich war froh, dass ich sie hatte. Wie kam sie an die Manuskripte? Sie wurde in konspirativer Tätigkeit unterwiesen. Sie hat Schlüsselabdrucke gemacht. So bekam die Stasi Nachschlüssel und konnte sich Manuskripte beschaffen und kopieren. Und übersetzen lassen. Sogar sehr gut. Stefan hat seine Tagebücher in Englisch geschrieben. Bei den Akten fanden wir die deutsche Übersetzung.

Hat Ihnen keiner der Nachbarn einen Wink gegeben?

Die waren doch zum Teil involviert. Wie gegenwärtig war der Gedanke, dass es keinen geschützten Raum gab? Wir brauchten keinen geschützten Raum. Wir haben doch keine Konspiration betrieben! Stefan hat immer und überall gesagt, was er dachte. Wir haben laut geredet.Aber Ihre Intimität wurde verletzt. Das war mir dann auch egal.

Wie konnten Sie unter diesen Umständen über so einen langen Zeitraum Ihre Stabilität bewahren?

Das konnte ich ja gar nicht. Es gab Zeiten großer Schwäche und Verzweiflung. Ich habe manchmal zu viele Tabletten genommen, ich habe manchmal zu viel getrunken. Und bis heute schlafe ich schlecht.

Haben Sie ein offenes Haus geführt?

Natürlich. Aber mit Einschränkungen: Es standen oft junge Leute vor der Tür. Sie wollten sich engagieren. Ich habe sie abgewiesen, weil ich nicht die Verantwortung tragen konnte, wenn sie verhaftet werden. Wir wollten nicht die Leimrute der Staatssicherheit sein.

Gab es Verrat im Freundeskreis?

Keiner unserer Freunde hat etwas gemacht, was ich Verrat nennnen würde. Was mich ins Herz getroffen hätte. Nachher hat sich herausgestellt, dass die selbst alle überwacht wurden. Jeder musste entscheiden, ob er uns besucht oder nicht. Ich habe es keinem übel genommen, wenn er nicht mehr kam. Denn jeder wurde beobachtet.

Haben Sie an Ausreise gedacht?

Für Stefan war klar, dass er bleiben würde. Er hatte diese Haltung: Wollen wir doch mal sehen! Aber wir verstanden die, die ausgereist sind, Jurek Becker oder Günter Kunert zum Beispiel waren schon in ihrer Kindheit Verfolgung ausgesetzt - Verfolgung war für sie ein Trauma. Sie mussten gehen.

Ihr Mann hat hier weitergearbeitet. Wie schrieb er?

Mit der Schreibmaschine und seit 1983 am Computer. Sein Verlag Bertelsmann schenkte ihm einen zum Geburtstag, so ein Ding kostete damals einen Haufen Geld. Aber dann stürzten dauernd die Texte ab. Große Aufregung. Glücklicherweise kam jemand aus dem Laden am Hohenzollerndamm und brachte Stefan das Schreiben mit Computer bei.

Schrieb er regelmäßig?

Jeden Tag nach dem Frühstück. Es war auch Flucht. Er hat weggeschoben, was ihn gehindert hat. Zum Beispiel wollte er gleich seine Akten sehen, als sie 1993 zugänglich waren. Achtzig Bände. Drei Tage ging er hin. Er erfuhr, dass unsere Haushaltshilfen angeworben waren, dass die Stasi Schlüssel zum Haus und zum Safe hatte, dass sie seine Tagebücher kannte. Und er erfuhr auch, dass die Stasi ihm früher Frauen ins Bett gelegt hatte. Es kränkte ihn sehr, dass die es nicht aus Liebe getan hatten. Es nahm ihn derart mit, dass er nichts mehr sehen und nicht mehr hingehen wollte. Er schrieb damals am "Radek". Er fürchtete, dass ihn die Beschäftigung mit den Akten an der Arbeit hindern würde.

Sie gingen dann allein zur Gauckbehörde?

Ja. Aber manchmal, wenn ich rauskam, wusste ich nicht mehr, ob es rechts oder links lang nach Hause ging. Es überstieg mein Vorstellungsvermögen. Von der ersten Fassung des Romans über den 17. Juni bis zu seinem Erscheinen 1989 in der DDR dauerte es unglaubliche dreißig Jahre. Das Buch lag wie ein Stein auf seinem Weg. Es gab auch Freunde, die sagten: "Ach, Stefan, schreib was Neues. Was willst du dich mit der alten Geschichte beschäftigen." Aber er musste mit diesem "Tag X" fertig werden.

Konnten Sie ihm helfen?


Ich hatte das Buch am Beginn unserer Beziehung gelesen. Die erste Fassung war ja schon von 1956. Inzwischen wusste man mehr über den 17. Juni. Jemand hatte Stefan auch diese Sendungen vom Rias aus dem Archiv geholt. Ich habe damals eine Analyse des Romans gemacht. Man konnte nicht viel an der Struktur ändern, aber Verbesserungen boten sich an. Das Buch hatte wirklich Schwächen. Literarische und politische. Stefan hat dann seinen "Tag X" gründlich überarbeitet. Die zweite Fassung war 1973 fertig. Es gibt im Archiv in Cambridge 200 Seiten, auf denen Stefan Heym sehr kritisch mit der ersten Fassung seines Buches umgeht. Das ist diese Analyse. Sie läuft aber unter seinem Namen. Na ja, so sind Männer. Meiner machte da keine Ausnahme. Männer lassen nicht gerne erkennen, wenn ihnen jemand hilft. Nun hieß das Buch "5 Tage im Juni". Zu der Umarbeitung gehörte auch der Einsatz von historischen Dokumenten. In der neuen Fassung lagen die Ursachen für den 17. Juni hauptsächlich in der DDR und ihrer Politik. Wie kann man dreißig Jahre an ein Projekt glauben?Er hat sich ja nicht dauernd damit beschäftigt. Aber er hat immer geglaubt, dass es Veränderungen in der DDR geben würde. Dass Reformen kommen. Er war überzeugt, dass dieses Buch wahrhaftig ist. Das reichte für den langen Atem.1974 erschien das Buch im Westen bei Bertelsmann. Vorher war es bei Kindler abgelehnt worden. Denen passte die Richtung aus anderen Gründen nicht. So ähnlich geht es ja bis heute mit dem 17. Juni. Schwarzweiß. In der DDR war es nur ein faschistischer Putsch, im Westen nur ein Arbeiteraufstand. Die inneren Widersprüche in der DDR waren entscheidend für das, was geschah, aber natürlich haben der Kalte Krieg und der Rias eine Rolle gespielt. Heute sollen die mal nicht so tun. Stefan war mit diesem Buch immer zwischen den Fronten. Jahrelang haben sich Staatsapparat, Staatssicherheit, Partei, Schriftstellerverband, ausländische Verbände und Botschaften mit dem Roman beschäftigt. Es gibt sogar ein Buch darüber. Ja, von Herbert Krämer, ein Germanistikprofessor an der Universität Trondheim in Norwegen. Auch wir haben erst dadurch einiges erfahren, was sich damals hinter den Kulissen abgespielt hat. 1974 sollte die überarbeitete Fassung, "5 Tage im Juni" auch in der DDR erscheinen. Gleichzeitig in der DDR und in der Bundesrepublik. Es gab feste Absprachen. Stefan war überaus glücklich. Dann wurden vom DDR-Verlag wieder Änderungen verlangt. Man warf ihm auch den Bruch von Absprachen vor, weil er die Weltrechte behalten wollte. Aber wenn er sie abgegeben hätte, hätte der Verlag verhindern können, dass das Buch irgendwo erscheint. Stefan bot sogar dem DDR-Verlag eine Beteiligung an den Einnahmen aus den Westrechten an. Vergeblich.
"5 Tage im Juni" kam dann zur Frankfurter Buchmesse. Endlich war das Buch in seinen Händen.

Und wie reagierte er, als es zur Wendezeit im Osten erschien?


Das hat ihn dann nicht mehr berührt. Er hatte alles dafür getan, dass es in der DDR erscheinen konnte. Als es dreißig Jahre später soweit war, hatte er andere Themen. Leider gingen in der Zeit nach der Wende viele Bücher von DDR-Autoren unter, zum Beispiel auch Stefans Roman "Radek", den ich für eines seiner besten Bücher halte.

Woher nahm er in seinem Alter die Kraft?


Ein starker Willen. Spaß an der Arbeit. Gesunde Lebensweise. Er rauchte nicht. Allerdings saß er lieber am Computer, als Spaziergänge zu machen. "Fußmärsche" nannte er das und sagte: "Ein Jud gehört ins Caféhaus."

Hat der jüdische Glauben eine Rolle gespielt?

Er war tief verwurzelt im Judentum, aber er war kein Zionist. Er kam auch nicht aus einem orthodoxen Haus. 1994 ließ sich Stefan Heym, der sein Leben lang in keiner Partei war, als Kandidat der PDS für die Bundestagswahl aufstellen. Er ging mit 81 Jahren in die Politik.

Warum tat er sich das an?

Ich war sehr dagegen. Ich hätte ganz gern noch ein bisschen auf andere Art mit ihm gelebt. In Ruhe arbeiten. Verreisen. Beziehungen zu den Freunden pflegen. Nicht immer dieses Gehetze. Auf der anderen Seite brauchte er Herausforderungen. Trotzdem überraschte sein Engagement für die PDS. Erstens haben wir gewusst, dass es in dieser Partei Leute gab, die Reformen wollten. Noch als die DDR existierte, zu allen Zeiten - Leute mit Parteirügen, mit Brüchen in der Biografie, mit Verletzungen. Die Widersprüche in der Gesellschaft gab es doch auch in der Partei. Zweitens war es auch ein Spaß: Wir haben in den Wahlveranstaltungen die Gesichter meiner ehemaligen Genossen gesehen. Die mussten ganz schön schlucken, dass ausgerechnet Stefan Heym, der gestern noch der Klassenfeind war, nun ihre Partei retten sollte. Die PDS kam 1994 ja nur über die Direktmandate in den Bundestag. Drittens hat ihn keine andere Partei um Unterstützung gebeten. So kam es zu dieser Rede als Alterspräsident im Bundestag.An dieser Rede hat er lange gearbeitet. Ich hatte nur Angst, dass er das körperlich nicht aushält. Aber dass er als Antifaschist, als Jude, als ehemaliger amerikanischer Offizier den Bundestag eröffnen würde - das hat ihm gefallen. Danach musste er wegen Herzgeschichten ins Krankenhaus.

Wegen der Kränkung?


CDU und CSU haben ihm, mit Ausnahme von Rita Süssmuth, den Beifall und Respekt verweigert. Das hat ihm nichts ausgemacht. Die haben sich blamiert. Er doch nicht. Die haben doch gezeigt, wie weit es her ist mit ihrer Demokratie.

Im Dezember 2001 reisten Sie mit Ihrem Mann nach Israel.

Er hielt einen Vortrag über Heinrich Heine. Drei Tage später blieb sein Herz stehen. Er litt an Herzinsuffizienz. Aber diese Reise nach Jerusalem wollte er unbedingt machen. Heine hat ihn durch sein ganzes Leben begleitet, und Stefan hatte 1993 in Israel den Jerusalem-Preis bekommen, den höchsten Literaturpreis des Landes.

Was sind Ihre letzten Erinnerungen?

Wir haben oft nachts wachgelegen und uns aneinander fest gehalten. Von Ossip Mandelstam gibt es ein Gedicht. Einige Zeilen hatte Stefan sehr gern: "Und die Arme gekreuzt auf der Brust. So sterben Liebende. Immer an zärtlichen Himmeln vorbei."